15/02/2010 Ein Chopin ohne Tbc |
Stürmisches Konzert von Ewa Kupiec im Neubeurer Schloss Wie ein energiegeschüttelter Wirbelwind fegte sie herein, stürzte an den Flügel und legte stürmisch mit Chopins Scherzo Nr. 3 los, ohne auf die sich erst einstellen wollende Stille der Zuhörer zu achten: Die polnische Pianistin Ewa Kupiec eroberte sich im Sturm den ausverkauften Festsaal des Neubeurer Schlosses, packte die Herzen der Zuhörer mit festem Griff, knetet sie bisweilen und ließ sie nicht mehr los. Ein staunenswerter Klavierabend mit einem außergewöhnlichen Programm: nur Chopin, aus op. 39 bis op.51, Werke zwischen 1838 und 1842 komponiert, Jahre der glück- und auch leiderfüllten Liebe zu George Sand und Jahre schwerer Krankheit. Umso erstaunlicher, welche krafterfüllten Werke Chopin da schuf. Merkwürdigerweise oft in As-Dur und in fis- Moll, worauf die Pianistin das Publikum charmant darauf aufmerksam machte. As-Dur: von Berlioz als "süß, verhangen und sehr edel" charakterisiert, aber von dem Dichter Schubart auch als "Gräberton" bezeichnet. Fis-Moll: von Berlioz als "tragisch, vollklingend, schneidend" charakterisiert, von dem Musiker Johann Mattheson aber auch als "etwas Verlorenes, Einsames" bezeichnet. Zwischen diesem Edlen und Tragischen, Majestätischen und Verlorenen spielte sich das Konzert ab - und zwischen Kraft und Zartheit. Kraft, manchmal auch anspringende Wildheit, die man der zart aussehenden Ewa Kupiec nicht gleich ansah. Aber sie wurde immer wieder fast geschüttelt von den musikalischen Emotionen: Die Backenknochen mahlten, ihre Wangen wurden abwechselnd rot und blass, ihr Fuß stampfte erregt auf bei den rhythmischen Konvulsionen, der Boden des Podiums vibriert, ihre Spielgewalt bekommt manchmal sogar etwas Gewalttätiges: Das ist ein Chopin ohne Tbc, ein leidenschaftsgepeitschter Chopin, kein Chopin im "Beichtstuhlton", wie ihn sich der französische Schriftsteller André Gide immer wünschte. Schwindsucht hatte höchstens der schlecht gestimmte Flügel... Der Walzer in As-Dur op.42 geriet so ins fast Untanzbar-Schwindelige, die darauf folgende Tarantella in As- Dur op.43 ins Wirbelig-Wahnsinnige mit unwiderstehlich-zwingendem Drive, die Polonaise fis-Moll op.44 ins Rhythmisch-Martialische, Aggressiv-Heroische. Ewa Kupiec markiert, stampft, ja hämmert den Schreit- Rhythmus, der so zum drohenden Marschrhythmus wird - mit einem traumhaft schönen wie entrückten Mazurka-Einschub wie aus einer anderen, versunkenen Welt. Da zeigte die Pianistin, wie zart, ja zärtlich und klanglich berückend ihr Spiel auch sein kann. Trotzdem suchte sie auch in den beiden Nocturnes op.48 eher die volle Klangentfaltung als die zarte Klangenthaltung. Die vier Mazurken op.41 waren deutlich von der immer energisch vibrierenden Melodie dominiert, die Kupiec weitbogig entfaltete und in ihrem zwingenden Verlauf zeigte. Bezaubernd dramatisch "erzählte" die Pianistin in der As-Dur-Ballade, mehr, bedeutungsvoller, inhaltsreicher und drängend-hochdramatischer noch in der abschließenden f-Moll-Fantasie, die sie, obwohl in raschem Zeitmaß spielend, doch gewaltig und transparent zugleich zu einer hymnisch-ekstatischen Darstellung aufbaut. Den aufschießenden Beifall belohnte Ewa Kupiec mit drei Zugaben, darunter der Wiederholung der Tarantella, weil die "sauschwer und selten gespielt" sei. Ein Klavierabend, der noch lange im Kopf - und auch im Körper - nachhallt. |
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