24/02/2010 „Chopin war eine tragische Figur“ |
Die Pianistin Ewa Kupiec gilt als herausragende Interpretin von Frédéric Chopin, am Samstag tritt sie im Nikolaisaal auf – Ein Gespräch über Künstlerleben, Oberflächlichkeiten und das polnische Idiom (24.02.10) Frau Kupiec, ist es für Ihr Spiel wichtig die Biografie eines Komponisten wie Frédéric Chopin zu kennen oder reicht Ihnen allein der überlieferte Notentext für eine überzeugende Interpretation? Das ist eine wichtige Frage. Manche beschäftigen sich intensiv mit dem Leben, aber weniger mit den Kompositionen. Bei anderen ist es genau umgekehrt. Man muss natürlich wissen, in welcher Zeit, welcher Kultur und unter welchen Umständen ein Komponist lebte. Dann kann es sich zeigen, dass mancher Komponist in einer gewissen Art zwei Leben führte. Bei Chopin ist das zwar auch der Fall, aber bei Wladislaw Szpilman, den ich auch aufgenommen habe, noch viel stärker. Wladislaw Szpilman, der polnisch-jüdischer Pianist, der vielen erst durch den erfolgreichen Kinofilm „Der Pianist“ bekannt geworden ist? Ja, Szpilman hat im Warschauer Ghetto unter Umständen leben müssen, die man sich kaum vorstellen kann. Aber trotzdem hat er in dieser Zeit ganz leichte Stücke wie „Concertino“ geschrieben. Und Chopin? Chopin war ein Dandy, ein eher schwacher, fast weiblicher Typ. Aber in seiner Musik zeigt sich ein ganz anderer Mann, einer voller Leidenschaft und Kraft. Das ist schon sehr interessant. Also hat er sich in der Musik ein anderes, ein Wunschleben geschaffen? Ja, weil nicht selten das innere mit dem äußeren Leben überhaupt nichts zu tun hat. Ist es für Sie gelegentlich auch notwendig, eine strikte Trennung zwischen Komponist und Komposition zu machen? Ja, das ist ganz wichtig, auch bei Chopin. Der war zwar ein kranker Mann, trotzdem hat er keine krankhafte Musik geschrieben. Durch seine Kreativität konnte der Geist über die Materie triumphieren. Chopin gilt als richtungsweisender Komponist. Was war so außergewöhnlich an dem, was er komponierte? Er war so modern. Ich glaube, Chopin war der einzige Komponist der Romantik, dessen gesamtes Werk schon damals auf der Bühne gespielt wurde. Er traf den Geschmack seiner Zeit. Gleichzeitig war seine Musik wie eine Vision, die auch noch heute Gültigkeit hat. Das hat vor allem mit seinem Inneren zu tun. Denn seine emotionale Welt scheint auch unserer zu entsprechen. Dadurch ist seine oftmals sehr komplexe Musik auch nicht in den Archiven der Museen verschwunden. Das würde auch dem Urteil über Chopin entsprechen, dass er keine einzige schwache Komposition hinterlassen hat. Ja, aber trotzdem kommt es immer wieder vor, dass diese starken Stücke schwach gespielt werden. Wenn man mit der Einstellung, dies ist ja nur ein Walzer, dies nur eine Mazurka und das nur ein Prélude an seine Musik herantritt, dann sieht man nur die Oberfläche. Aber wenn man nur diese Oberfläche sehen will, bitte schön. Wie vermeiden Sie eine solche Oberflächlichkeit? Ich empfinde Chopin als eine tragische Figur und entdecke dadurch viel mehr die Komplexität in seiner Musik. Das ist aber auch ein sich ständig wiederholender Prozess des Neuentdeckens. Chopin galt als Perfektionist, der keine Skizzen oder Notizen zu seinen Kompositionen hinterlassen hat, sondern nur die abschließende und allein gültige Fassung. Vermissen Sie es manchmal, dass Ihnen so die Möglichkeit verwehrt bleibt, bei bestimmten Stücken den Entstehungsprozess anhand von verschiedenen, wieder verworfenen Versionen verfolgen zu können? Chopin konnte hervorragend improvisieren und wird so zahlreiche unterschiedliche Variationen über ein Stück gespielt haben. Wenn es aber darum ging, eine Komposition zu Papier zu bringen, hat er sich immer bemüht, die perfekte Form zu finden. Da war er fast pedantisch. Und ich bin der Meinung, dass er richtig gehandelt hat, als er die Entwürfe vernichtete. Alles andere würde uns nur verwirren und vom Eigentlichen ablenken. Wollen wir in Chopins Welt eintauchen und den Chopin erfahren, der uns auch heute noch etwas geben kann, dann nur mit dem, was er bewusst hinterlassen hat. Also wird es in ihren Konzerten nicht vorkommen, dass Sie über Chopin improvisieren? Ich improvisiere schon in einem gewissen Rahmen. Wenn ich mit Rubato arbeite, dem Verlängern oder Verkürzen im Spielen von Tönen, dann improvisiere ich. Aber das ist natürlich etwas ganz anderes als die übliche Jazzimprovisation. Als Pianistin habe ich nicht den Mut und auch nicht die entsprechende Ausbildung, um beispielsweise wie Gabriela Montero über ein klassisches Stück ganz frei zu improvisieren. Ich beschränke mich auf das Material, das ich habe und versuche darin eine gewisse Freiheit für mich zu entdecken. Und die hat Ihnen Chopin, trotz seines Perfektionismus’, gelassen? Aber selbstverständlich. Und was bedeutet Perfektionismus? Er hat uns sozusagen ein musikalisches Buch hinterlassen. Wie wir das dann interpretieren, dafür gibt es tausende Wege. Chopin wurde wie Sie in Polen geboren. Er hat in seinen Kompositionen sehr viel traditionelle polnische Musik einfließen lassen. Erleichtert Ihnen diese heimatliche Verbundenheit den Zugang zu seinen Kompositionen? Ja und nein, denn darin liegt ja gerade auch die Schwierigkeit. Vielen Pianisten meiden Chopin, weil das polnische Idiom in den Polonaisen und Mazurken einen ganz eigenen, charakteristischen Rhythmus hat. Eine Charakteristik, die schwer zu begreifen ist. Natürlich hat es mir geholfen, dass ich die traditionelle Musik in meiner Kindheit sehr oft gehört habe. Aber es gibt auch Pianisten wie Martha Argerich, die wunderbar Chopins Mazurken interpretiert. Und Martha Argerich ist in Argentinien geboren. Chopins Musik hat natürlich etwas speziell Polnisches, aber in erster Linie ist sie universell.
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