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09/02/2012
Philharmonie Berlin, Kammermusiksaal: Ewa Kupiec
Andreas Göbel - kulturradio Berlin

Do 09.02.2012
Bühne
Philharmonie Berlin, Kammermusiksaal: Ewa Kupiec

Die polnische Pianistin Ewa Kupiec hat sich bei Kennern vor allem durch ihr ungewöhnliches Repertoire einen Namen erworben. Sie gilt als Expertin für die vernachlässigte Musik ihres Heimatlandes: Werke von Grażyna Bacewicz oder Ignacy Jan Paderewski hat sie aufgenommen, ebenso Musik von Władysław Szpilman. Der ist bekannt geworden durch den Film Der Pianist – aber nur sie spielt seine Musik. Das alles ist ein Pfund, mit dem sie wuchern kann. Umso erstaunter musste man sein, dass sie dies in ihre beiden Zugaben verbannte. Im Hauptteil stattdessen: romantische Standards von Schubert, Chopin und Mendelssohn.

Dennoch war ihre Programmkonzeption gut überlegt. Zweimal vier Impromptus von Schubert und Chopin – und zweimal Lieder ohne Worte: von Mendelssohn und von Schubert in der Klavierfassung von Franz Liszt, also auch hier "ohne Worte".

Sinnlich erfahrbar


Ewa Kupiec weiß, was sie tut. Sie hat auch interpretatorisch eine klare Dramaturgie im Kopf. Die Pianistin gehört zu denjenigen, die im jeweiligen Moment immer schon wissen, wo sie ein paar Minuten später hin wollen. Im c-Moll-Impromptu von Franz Schubert gelingt ihr das über zehn Minuten vom zurückgenommenen, fast stockenden, in der Art eines Trauermarsches gespielten Anfang über eine allmähliche Steigerung und einen Höhepunkt mit beeindruckendem Klangvolumen bis hin zur Auflösung am Schluss. Man vergisst bei ihr, dass sie Klavier spielt. Vielmehr scheint sie die Klangfarben eines ganzen großen Orchesters zur Verfügung zu haben. Alles ist bei ihr durchdacht und trotzdem nicht betont intellektuell, sondern sinnlich erfahrbar.

Chopin ohne Sentimentalität


Ist es ein Klischee, dass polnische Musiker besonders gut Chopin spielen müssen? Krystian Zimerman beispielsweise ist ein wunderbarer Chopin-Interpret. Ewa Kupiec nicht minder, aber sie scheint der Musik zu misstrauen. Hat sie sich bei Schubert Raum und Zeit für kleinste Nuancen gelassen, mitunter – im Ges-Dur-Impromptu – fast zu viel, drückt sie bei den vier Impromptus von Frédéric Chopin auf das Gaspedal. Die Eckteile des berühmten "Fantasie-Impromptus" sind ein Vulkanausbruch in ungebändigtem Tempo, und auch der langsamere Mittelteil kommt kaum zur Ruhe. Will sie Chopin aus der Salon- und Sentimentalitäts-Ecke herausholen? Das wäre durchaus sympathisch, allerdings spielt sie hier auch über manches Detail hinweg.


Deutlich besser funktioniert dieser Ansatz bei elf ausgewählten Liedern ohne Worte von Felix Mendelssohn Bartholdy. Wurden diese Stücke lange Zeit als geduldiges Unterrichtsmaterial für höhere Töchter missbraucht, weist Ewa Kupiec nach, dass diese Musik überhaupt nicht "nett" ist. Unter ihren Fingern sind es kleine Psychogramme, abgründig, in den raschen Stücken oft panisch und gehetzt, in den ruhigen bisweilen tieftraurig. Sie zeigt, wie vielschichtig und ausdrucksstark Mendelssohn auch in seinen kleinen Werken komponiert hat.


Bilder im Kopf des Hörers
Ewa Kupiec spielt nicht nur gegen zahlreiche Klischees in der Musik an. Manchmal bürstet sie ganz behutsam auch Dinge gegen den Strich. Das Ständchen aus dem "Schwanengesang" von Schubert in der Klavierfassung von Franz Liszt enthält in der Begleitung gleichmäßige Figuren, die das Zupfen einer Laute imitieren sollen. Die Pianistin nimmt diese Begleitung denkbar trocken, kalt und gespenstisch. Kein sehnsüchtiges Liebeslied, eher der Sensenmann, der mit einer tickenden Uhr in der Hand auf die verrinnende Lebenszeit verweist. Nur ein Beispiel dafür, wie leicht beim Spiel von Ewa Kupiec Bilder im Kopf des Hörers entstehen.

Auf jeden Fall denkt man lange über ihre Interpretationen nach.
Andreas Göbel, kulturradio
 

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